Dienstag, 20. September 2016

SADEA – Ergebnis schwerwiegender Probleme im Projekt

29-07-2016

SADEA – Sinergie d´action pour le développement éducative des aveugles (« Aktive Bewegung » für die edukative Entwicklung von Blinden) ist eine junge Assoziation, konstituiert aus blinden Schülern der weiterführenden Schulen Kpalimés und Lomés in Togo, Afrika. Gegründet hat sich die Organisation am 07. Juni 2016. Die Idee ist schon lange in den Köpfen einiger Schüler, Auslöser ist schließlich das Zudrehen des Geldhahnes einer italienischen ONG.
Ok, jetzt fragt ihr euch, was will Philine euch denn damit sagen. Ich werde es euch erklären:
Die ersten Infos erhielt ich schon vor ca. einem Monat als ich dem Blindenzentrum in Lomé einen Besuch abstattete. Ich wollte den Sportkurs für die Schüler organisieren und mi wurde schon als Problem für kommendes Schuljahr erläutert, dass die Gymnasiasten nicht mehr im Blindenzentrum beherbergt werden können, da die Organisation, die bisher zahlte, kein Geld mehr gibt. OK, ich hatte die Woche darauf mit dem Direktor des Blindenverbandes von Togo gesprochen und auf meine Frage, wie man dieses Problem regeln würde, antwortete er unbesorgt, man werde Wohnungen für die Schüler suchen, wie das in Kpalimé auch der Fall ist. Grund sei, die Schüler zu mehr Selbstständigkeit zu bewegen. Das hörte sich doch schon viel positiver an, ich war beruhigt. Eine Woche später wurde mir dann von meinen Schülern in Kpalimé die Idee, eine Organisation für die Schüler von den Schülern zu gründen aufgezeigt, und ich wurde gefragt, ob ich Interesse hätte, teilzuhaben. Ich willigte sofort ein, etwas derartiges erhoffte ich mir schon seit langem, ich war allerdings noch skeptisch. Was bewegt die Schüler dazu, jetzt so eine Organisation aufzubauen? Wie soll diese aufgebaut sein? Finanzierung? Wie wird das alles ablaufen?
Einige Tage später wurde ich zu den Fast-Abiturienten gebeten. Sie stellten mir die konkrete Idee der Organisation vor. Nun wurde es klarer und mir wurde endlich der Grund für die plötzliche Gründung dieser Organisation erläutert. Und der Grund ist schon fast ein Zwang für die Schüler, das Steuer selbst in die Hand zu nehmen und etwas zu tun!
Ich komme zu den Details. Das Projekt S.E.I.D.S., in dem ich arbeite, wird seit 30 Jahren von einer italienischen  ONG finanziert. Ein italienischer Freiwilliger hat bis jetzt jedes Jahr auf´s Neue nach Fonds und Spendern gesucht. Jetzt ist er an einem Punkt angekommen, wo seine Kraft am Ende ist und er hat seine Arbeit aufgegeben. Verständlich, das ist eine unglaublich mühselige Arbeit. Aber auch unverständlich. Wie kann die Finanzierung eines so großen Projektes von der Spendersuche einer einzelnen Person abhängen? Das Projekt betreut die blinden Schüler weiterführender Schulen der vier größten Städte Togos (Lomé, Kpalimé, Sokodé, Kara) und kümmert sich um deren Schulgeld, Wohnung, Ernährung, Gesundheit und Schulmaterial. Hierbei muss ich einen neuen Punkt beisteuern, der ein weiterer großer Grund für die Gründung der Assoziation ist. Stichpunkt Korruption…
Während meiner Arbeit in meinem Projekt, stieß ich ständig auf Geldprobleme und damit verbundene Mängel. Die Wohnungen der Schüler sind mangelhaft, es regnet stellenweise rein, die Toilette ist undicht oder auch gar nicht mehr funktionsfähig, die Fenster nicht mehr schließbar, die Mauer auf der Terrasse bricht schon durch dagegen stoßen an einigen Stellen ein, … Ich bekomme tagtäglich die Mangelernährung meiner Schüler mit. Die Eltern schicken ihnen kleine Geldbeträge und auch Reis, Bohnen und Maismehl. Das sind letztendlich die Hauptnahrungsmittel. Fleisch, Obst und Gemüse sehen die Schüler selten und eine Mahlzeit wird oft nur einmal am Tag eingenommen. Wenn die Eltern Probleme haben oder es Schwierigkeiten beim Versenden des Geldes gibt (hier ist es nicht üblich Bankkonten zu besitzen), leiden die Jugendlichen.  Elektrizität müssen die Schüler selbst zahlen, und auch bei Schulmaterial gibt es ständig Engpässe. Blätter werden vom Projekt gegeben, allerdings nicht ausreichend. Die drei Chefs/Verantwortlichen in Kpalimé meinen oft, die Schüler sollen sparsamer mit den Blättern umgehen oder die Schüler seien faul und würden nichts für die Schule tun und die Blätter nur klauen… Hm, diese Aussage von drei Menschen, die sich z.B. in meiner Schule dreimal bis gar nicht während des ganzen Jahres blicken lassen haben. Es seien auch nicht ausreichend Blätter da. So wird auch argumentiert, wenn ich zusätzlich zu den Englisch- oder Deutschbüchern, Aufgaben, Texte oder Vokabellisten für die Schüler in Braille drucken will. Diktiere ich den Schülern genanntes Material, haben diese nicht ausreichend Blätter zum Schreiben und das nimmt unglaublich viel Zeit in Anspruch, die von der Zeit zum Lernen abgeht und was anstrengend für die Hände ist. Weiterhin müssen die Schüler Griffel und Punktschrifttafel (Schreibwerkzeug) selbst zahlen, was dazu führt, dass sie ihr Schreibmaterial seit der Grundschule nicht erneuern. Der Griffel eines Schülers ist jetzt fast komplett abgenutzt, er hat aber kein Geld ein neues zu kaufen. Das sind nur wenige der vielen Probleme, mit denen die Schüler tagtäglich konfrontiert werden. Nicht einfach, da sie auch schon früh das Elternhaus verlassen mussten, um eine Chance auf Schulbildung zu haben. Zurück zu den Verantwortlichen des Projekts. Betreiben sie Korruption? Gibt es wirklich zu wenig Geld? Laut meiner Schüler betreiben die drei Chefs schon seit langem Korruption und das Geld für Lebensmittel, Gesundheit und Schulmaterial bleibt in den Taschen der Verantwortlichen stecken.
Beweise? Schwierig. V.a. hier in Togo. Ich fragte meine Chefs unter anderen Vorwänden nach Berichten und genaueren Informationen des Projektes. Als Antwort bekam ich einen Bericht von vor zehn Jahren mit der Antwort, dass nicht immer alles dokumentiert wird. Merci! Ich muss aber ehrlich sagen, dass ich meinen Schülern mehr Glauben schenke. Sie kennen unsere Verantwortlichen besser als ich und sind seit Jahren unter deren „Obhut“. Sie berichteten mir einiges. Bspw. Sieht das Projekt Essensgeld für jeden Schüler vor und versichert auch Arztbesuche. Es wurden sogar einmal Computer gespendet mit dem Nutzen ein Internetcafé für Blinde zu errichten. Diese befinden sich jetzt in dem Kopierladen der Tochter unseres Chefs, die Aufkleber der italienischen Organisation sind noch gut sichtbar. Weiter möchte ich dieses Thema jetzt gar nicht ausführen, mir geht es in diesem Bericht um unsere neu gegründete Organisation SADEA.
Unsere erste Generalversammlung erfolgte am 07. Juni 2016. Der Großteil der Schüler aus Kpalimé versammelte sich, auch ich war eingeladen. In dieser Versammlung wurde endlich ein Plan, das Vorgehen der Organisation dargelegt. Ein provisorisches exekutives Büro bestand bereits.  Unser Koordinator, ein Abiturient, erläuterte uns alles. Er legte Wert darauf, allen Gründungsmitgliedern klar zu machen, dass das provisorische Büro nötig sei, um sofort mit den Maßnahmen zu beginnen. Im September wird das Büro dann bei der Generalversammlung demokratisch gewählt. Das Büro besteht aus zwei Koordinatoren, zwei Sekretären, zwei Schatzmeistern und einem Rat. Zusätzlich wurde ein Zuständiger für Kommunikation und weitere kleinere Rollen. Für das Startkapital muss jedes Mitglied einen Beitrag von 500 F (ca. 1€) zahlen. Dies ist für die Schüler viel, aber bezahlbar. Als Monatsbeitrag legen sich die Schüler auf 200 F (ca. 30 Cent) fest, mehr ist nicht drin. Wie wird jetzt vorgegangen, um an das heißbegehrte Metall zu kommen? Der benötigte Geldbetrag, um die Fortsetzung der Schullaufbahn von 30-40 Schülern zu ermöglichen, ist enorm.
Eli, unser Koordinator schärft den Schülern ein, jetzt müsse mit allen Mitteln nach Finanzierungen gesucht werden und die Assoziation benötige jeden einzelnen um das gemeinsame Ziel zu erreichen. Gleichzeitig ermutigt er sie auch, denn gemeinsam, mit dem Einsatz jedes Mitgliedes ist dies möglich.
Nun soll so vorgegangen werden, dass Anfragen zu finanzieller Unterstützung an alle möglichen Institutionen gestellt werden. Wir wollen im Inland beginnen und notfalls auch im Ausland anfragen. Weiteres Ziel ist, in ein paar Jahren selbstständig und unabhängig von Spendern und Partnern zu sein. Dazu wollen wir eine Boutique aufbauen, in der Kunsthandwerk der Schüler und Lebensmittel verkauft werden sollen. Außerdem soll mit Feldarbeit Geld eingenommen werden. Weitere Ideen werden sich in nächster Zeit bestimmt entwickeln. Ich habe auch den Verkauf eines  Kochbuchs mit togolesischen Rezepten begonnen. Ahmed besorgt mir dies aus Kara zu einem Freundschaftspreis und ein Anteil des Gewinns geht an die neue Organisation meiner Schüler.
So der Stand Ende Juli 2016.
11-09-2016

1,5 Monate später. Viel ist geschehen, wir haben wahnsinnig viel für die Assoziation gearbeitet. Wir, d.h. fünf der 30 (!) Schüler und ich. Hiermit spreche eines der ersten großen Probleme unserer Assoziation an. Noch bei unserer ersten Generalversammlung versprach jedes Mitglied vollen Einsatz für die Assoziation, zwei bis vier Wochen später verließen alle Schüler Kpalimé um zu ihren Familien zu fahren… Von den meisten hört man nichts mehr und v.a. kein Interesse für die Assoziation. Zwischendurch hatte ich einmal eine Nachricht an jeden Schüler geschickt, in der ich ziemlich aufgebracht erläuterte, wie wichtig die Mitarbeit jedes einzelnen Mitglieds sei. Bis vor ein/zwei Wochen befand sich nämlich noch kein einziger Franc in unserer Kasse und die einzigen, die für SADEA kämpften (hat sich bis jetzt nicht geändert) waren Eli, unser Koordonator, Edmond, Bonadi und Andrim, Gründungsmitglieder, und ich, mittlerweile zur Sekretärin mutiert. In Lomé zeigt sich nur ein Schüler, unser Zuständiger für Kommunikation engagiert.
Ich berichte jetzt mal von vorne. Anfangs schrieben wir Briefe an Kirchen, Krankenhäuser, Mobilfunkanbieter und andere Institutionen und Gesellschaften. Jeden Brief brachten wir persönlich zu den Verantwortlichen. Zu der Zeit war ich teilw. von 7 Uhr morgens bis 18 Uhr abends mit Andrim zu Fuß unterwegs, um Direktoren und Präsidenten zu treffen, die meistens „in einer Besprechung“ waren oder wir uns „um einige Minuten gedulden“ sollten,… Typische Antworten von wichtigen Personen. Leider waren diese ganzen Aktivitäten nicht sehr erfolgreich. Wir beschlossen unsere Vorgehensweise zu ändern, in Kpalimé schien unsere Suche keine Früchte zu tragen. Die Schüler beschlossen, die Arbeit in Lomé, der Hauptstadt Togos, fortzuführen. Sie handelten mit dem Blindenzentrum vor Ort aus, ein Zimmer für einen Monat für eine ganz kleine Gegenleistung zu bekommen. Schließlich machte ich mit Andrim, Edmond und Eli auf den Weg nach Lomé ins Blindenzentrum, wo Augustin, unser Zuständiger für Kommunikation, uns erwartete. Nun begann die Arbeit in Lomé. Um unsere dortige Arbeit zusammenzufassen: wir schrieben mengenweise Briefe und Anfragen, weiterhin an Kirchen, an die Botschaften, an Stars wie Emmanuel Adebayor (togolesischer Fußballstar), an die Ministerien, den Fußballverband, Firmen und alle anderen erdenklichen Institute. Ich blieb nicht die ganze Zeit in Lomé, da in Kpalimé auch Arbeit auf mich wartete. Ich sollte hier ein kleines Grundstück für unsere Boutique organisieren und ich machte weiterhin Anfragen, hauptsächlich an muslimische Persönlichkeiten. Freunde aus meiner Fußballmannschaft, die Kontakte zu den Imams haben, halfen mir. Da diese Gelder aus Saudi-Arabien bekommen, erhoffen wir uns daraus etwas.
Bei einem Malam (höhere Position als Imam) hatte ich bereits Erfolg, wenn auch nur einen kleinen. Dieser gab mir eine kleine Spende mit. Als am erfolgreichsten stellt sich unsere Arbeit in Lomé heraus. Wir waren bei verschiedenen Fernseh- und Radiosendern, um in deren Sendungen einen Aufruf zu starten. Zudem sollen solche Auftritte zur Sensibilisierung der Bevölkerung gelten. Dies ist dringend nötig. Meine Gastschwester (7 Jahre) bspw. hatte anfangs Angst, mich zu meinen Schülern zu begleiten, da sie dachte, sie würde auch erblinden. Ich klärte sie schließlich auf und mittlerweile liebt sie es, bei meinen Schülern zu sein. Ein Radiosender filmte meine Schüler beim Fußballspielen, sie demonstrierten Lesen, Schreiben und auch die Nutzung eines Computers.  Nach einer Sendung riefen bereits mehrere Togolesen an, um etwas zu spenden. Bis jetzt kam aber leider erst eine Spende an.
Neben dieser Arbeit müssen wir uns auch um die Anerkennung unserer Organisation vom Staat kümmern. Dazu haben wir bereits die statuts verfasst und wir sind dabei, die Hausordnung zu schreiben. Zudem bin ich dabei mithilfe eines Freundes eine Homepage einzurichten, wofür allerdings auch noch Finanzierungsmittel fehlen. Linn gestaltete für uns das Logo, welches jetzt nur noch digitalisiert werden muss. Anfragen an deutsche Assoziationen von mir scheiterten leider. Die Standard-Antwort lautete, sie wären nur eine kleine Organisation, die bereits Projekte besitzt und nicht über ausreichend Finanzierungsmittel verfügt, um weitere Projekte zu unterstützen.
Bei meinem letzten Besuch meiner Schüler in Lomé, verfassten wir weitere Projekte. Wir suchen jetzt offiziell nach finanzieller Unterstützung, um zusätzlich zu dem Schulbildungsprojekt ein Landwirtschaftsprojekt zu beginnen und die Boutique aufzubauen. Beide Projekte sollen in einiger Zeit das Schulprojekt finanzieren.
Die Arbeit in Lomé hat uns außerdem neue Mitglieder beschert. Wir bestehen jetzt nicht nur aus Schülern und mir, sondern fördern ebenfalls Studenten. Ein weiteres Ziel von SADEA. Die Förderung und Entwicklung der Bildung von Blinden in Togo, mit inbegriffen Schüler, Studenten, Auzubis,etc. Weiteres wichtiges Ziel ist die Sensibilisierung der Bevölkerung, meiner Meinung nach ein ganz wichtiger Punkt. Dazu sollen in geräumiger Zeit Sport- und Musikprojekte u.a. gefördert und gestartet werden.
So, ich muss es jetzt erstmal dabei belassen. Eine Fortführung meines Berichtes und Neuigkeiten unserer Arbeit sende ich euch das nächste Mal ;)



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